Reden wir über Sexismus in Tirol – 19 Frauenorganisationen rufen zum Dialog auf

Sexismus ist allgegenwärtig. Sehr lange schon und immer noch. Öffentliche sexistische Äußerungen sind Zeichen für patriarchale Machtstrukturen. Sexismus muss benannt und kritisiert werden. Wir müssen darüber reden, um etwas dagegen unternehmen zu können! Insgesamt 19 tiroler Fraueneinrichtungen setzen sich dafür ein, Sexismus in Tirol zum zentralen Thema zu machen.

„Bei Sexismus handelt es sich um die systematische Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Frauen sind davon weitaus häufiger betroffen.“, erklärt Angelika Ritter-Grepl, Leiterin des Frauenreferats der Diözese Innsbruck und Vorsitzende der kfbö. Gesellschaftliche Rollenzuschreibungen an Frauen und Männer bilden die Basis für Sexismus.

Sexismus ist allgegenwärtig: in der Werbung, am Arbeitsplatz, in Kindergarten und Schule, in den Familien, in Vereinen, im Nachtleben und in sämtlichen Alltagssituationen. „Wenn im Kindergarten der Aufruf eine gesunde Jause zu organisieren, ausschließlich an alle Mütter adressiert wird ist das genauso Sexismus, wie wenn bei einer Podiumsdiskussion ausschließlich Männer auf der Bühne sitzen“, beschreibt Brigitte Schieder, Frauenzentrum Osttirol exemplarisch.

Eine der Folgen von Sexismus ist Gewalt an Frauen und Mädchen. „Dem zugrunde liegt noch immer oft die Vorstellung, Männer könnten über („ihre“) Frauen verfügen. Dadurch werden Frauen zu Objekten gemacht“, beschreibt DSAin Doris Stauder, Geschäftsführerin des Vereins Frauen gegen VerGEWALTigung. Jede fünfte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr erfährt körperliche und/oder sexualisierte Gewalt. 2020 wurden in Österreich bereits elf Frauen ermordet und an 14 Frauen wurden Mordversuche verübt (AOEF). Vergangenes Wochenende wurde in Imst der 11. Mord an einer Frau, durch ihren Ehemann, verübt.

Gewalt an Frauen und Mädchen findet auch in der Sprache permanent statt, der Vorfall mit Landesrat Geisler wurde bekannt, weil er aufgezeichnet wurde. Frauen machen alltäglichen Erfahrungen von Gewalt in der Sprache und in der Kommunikation. Dieses Verhalten ist einer der Gründe, weshalb in der Politik Frauen nicht ihrem Anteil gemäß vertreten sind. Es ist nicht ihr mangelnder Wille sich zu involvieren und für Anliegen einzutreten und politisch zu handeln. Es ist die permanente Abwertung, das Überhören, Unterbrechen, das nicht Ernstnehmen. „Solange Frauen nicht zu 50% in der Politik vertreten sind, wird sich an sexistischen Strukturen kaum etwas ändern“ ist die Tirol-Koordinatorin des Frauen*Volksbegehrens Elisabeth Grabner-Niel überzeugt.

Frauen leben auch in Tirol häufiger unter der Armutsgrenze. Wohnungslose Frauen sind einem erhöhten Gewaltrisiko ausgesetzt. „In der Wohnungslosenhilfe für Frauen sehen wir wiederholt die Herausforderung der verdeckten Wohnungslosigkeit. Das bedeutet, Frauen kommen bei Bekannten und Verwandten unter und begeben sich damit oft in prekäre Abhängigkeitsverhältnisse. Von ihnen wird erwartet, sich anzupassen und beispielsweise sexuelle Dienste zu übernehmen“, thematisiert Julia Schratz, Geschäftsführerin DOWAS für Frauen, die Situation.

„Immer wieder kommen Frauen zu uns in die Beratung, die ihr Berufsfeld allein aus dem Grund wechseln wollen, weil sie in ihrem aktuellen Anstellungsverhältnis sexistischer Behandlung ausgesetzt sind und als Frau nicht gleichwertig ernst genommen werden“, erläutert Claudia Birnbaum, Geschäftsführerin von Frauen im Brennpunkt. Das ist speziell in männerdominierten Branchen eine besonders komplexe Problematik.

Bei Frauen mit Migrationshintergrund kommt es häufig zu Mehrfachdiskriminierungen. „Wir erleben Frauen, die aufgrund ihrer Herkunft und ihres Geschlechts verbal abgewertet werden, denen weniger zugetraut oder der Zugang zu Ressourcen wie leistbarem Wohnen, Bildungsangeboten, Kinderbetreuung etc. erschwert wird“, schildert DSAin Silvia Ortner von Frauen aus allen Ländern.

Mädchen* werden früh mit Rollenklischees konfrontiert. Was für einen Jungen als toleriertes Verhalten gilt, wird bei Mädchen kritisiert. MMag.a Katharina Lhotta von ARANEA Mädchen*zentrum: „Mädchen werden häufig in ihren beruflichen Perspektiven eingeschränkt, ihnen wird gesagt etwas sei zu schwer, zu gefährlich oder zu anstrengend für Mädchen. Wir bestärken sie indem wir ihnen Angebote machen sich auszuprobieren. Zudem sind körperliche und verbale Übergriffe für viele Mädchen* im Alltag präsent. ARANEA bietet einen geschützten Raum, in dem Mädchen* sich über diese Erfahrungen austauschen, sie kritisch hinterfragen können und darin bestärkt werden, sich ihnen entgegenzustellen.“

Über Sexismus in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zu sprechen und Aufklärungsarbeit zu leisten, ist ein Teil der Grundlagenarbeit von feministisch orientierten Frauenorganisationen. „Begonnen wurde damit schon vor vielen Jahren in den Schulen, später wurde das Thema von uns beispielweise für Gemeinderätinnen und Gemeinderäte aufgenommen. Die Erkenntnis dieser Arbeit: Es kann nicht genug Aufklärungsarbeit geben“, erklären Evelyn Mages und Angelika Hörmann die Situation aus Sicht der BASIS-Frauenservicestelle im Außerfern.

Wie wichtig die Aufklärung über alltäglichen Sexismus ist, zeigte plakativ der „Luder-Sager“ von Landesrat Geisler. Wie wäre die Situation verlaufen, wenn ein männlicher Mitarbeiter des WWF die Anliegen vorgebracht hat? Die Obfrau des AEP Arbeitskreis für Emanzipation und Partnerschaft kennt die Problematik zur Genüge und ist überzeugt: „Dass sich eine junge selbstbewusste junge Frau nicht ‚dreinreden‘ lässt, das ist für einen männlichen Politiker kaum auszuhalten. Männer sind gewohnt die Welt zu erklären, nicht umgekehrt. Das ist Sexismus pur!“

Die tiroler Fraueneinrichtungen sind Fachstellen, die antisexistisch und antirassistisch arbeiten. Ihre Angebote reichen von Beratungen über Antidiskriminierungsworkshops hin zu Informationen. Einige bieten Workshops an Schulen oder für Erwachsene verschiedener Berufsgruppen an, manche sind Opferschutzeinrichtungen, wie das Autonome Frauenhaus Tirol. Was alle Vereine eint: sie beziehen in den Debatten über Sexismus Position und treten parteiisch für Frauenrechte ein. Tirol ist eingeladen, sich an diesen Debatten zu beteiligen:

Sprechen Sie darüber.
Mischen Sie sich ein.
Leben Sie Solidarität.
Erheben Sie die Stimme, sagen Sie NEIN zu Sexismus.

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Kontakt
Mag.a Dr.in Julia Schratz · Geschäftsführerin DOWAS für Frauen
Adamgasse 4/2 · 6020 Innsbruck

Artikel in der Tiroler Tageszeitung